Gottfried Kraft: Wir müssen mit dem Kollektivlohn weiter in die Höhe

Eine Ursachenforschung führt zu einer drastischen Maßnahme bei Klipp Frisör, die Konsequenz, man entfernt sich vom Branchen-Kollektivvertrag und erhöht massiv Gehälter. Wir sprachen exklusiv mit Gottfried Kraft.

Gottfried Kraft, Geschäftsführer Klipp Frisöre, Im Gespräch mit Raphaela Kirschnick von imSalon.at

Herr Kraft, Sie lassen aufhorchen mit einer großen Botschaft: Klipp erhöht erneut alle Gehälter. Was ist der Hintergrund?
Gottfried Kraft:
 Über alle Branchen hinweg gehen Lehrlinge zurück, bei den Friseuren jedoch verzeichnen wir im Vergleich den vielen anderen Lehrberufen einen überproportionalen Rückgang. Diese Entwicklung haben wir hinterfragt und aus diesem Grund vom Marktforschungsinstitut Market Agent eine Studie durchführen lassen. Ein deutlich überdurchschnittlicher Lehrlingsrückgang von fast 50 % in nur 10 Jahren ist eine riesige Herausforderung. Und das bringt uns immer wieder zu der einen Frage: Woran liegt das?

Wie wurde die Studie aufgebaut?
GK:
 Wir wollten wissen, a) wie wichtig ist der Beruf in der Bevölkerung sowie das Image und b) wer kann sich vorstellen Friseur zu werden und was spricht für, beziehungsweise was gegen den Beruf.

Da bin ich jetzt sehr gespannt auf die Ergebnisse.
GK:  
56 % der Österreicher geben an, wie wichtig ihnen der Friseur ist, bei den Jungen ist das sogar noch höher mit 60 %.  Das ist ein Top-Ergebnis.

Und das Image?
GK: 
Positiv bis sehr positiv sehen das Image 75 % der Befragten. Zur Frage ‚Könnten Sie sich vorstellen Friseur zu werden?‘  sagen 16 % der Befragten ja. Das ist eine sensationelle Zahl. Also alle Indikatoren zeigen in die richtige Richtung:  Der Besuch ist wichtig, das Image ist gut und es können sich sogar 16 % vorstellen Friseur zu werden. Bei den jungen ist es sogar jeder Vierte!

Also es können sich 16 % vorstellen Friseur*in zu werden, aber was hält sie davon ab?
GK:
 Für den Beruf sprechen, der Umgang mit Menschen, Kreativsein und die Möglichkeit sich selbstständig zu machen.
Der Hauptgrund gegen den Friseurberuf ist die Bezahlung, was mit Abstand wiederholt an erster Stelle genannt wird. Ob wir es wollen oder nicht, das hängt uns nach – das wirkt.

„Wir können hier doch nicht länger die Augen verschließen.“

Aber genau das wird seit Jahren von allen Seiten immer wieder negiert?
GK: 
Wir können doch nicht so tun, als gäbe es diese Meinung in der Gesellschaft nicht. Egal, was wirklich bezahlt wird – das ist das gefestigte Bild in der Öffentlichkeit.  

Es gibt Friseure, die gut verdienen. Warum kommt das Draußen nicht an?
GK:
 Das zählt nicht. Auch unsere Friseure verdienen zum Teil sensationelle Prämien dazu, vom Trinkgeld ganz zu schweigen. Was in der Kommunikation zählt, ist der Kollektivlohn, die 9,95 % Erhöhung im April waren ein erster Schritt. Die einzige Lösung, die ich sehe, wir müssen mit den garantierten Fixlöhnen weiter in die Höhe.

„… es wird jetzt nur noch den Klipp Grundlohn geben.“

Das können Sie nicht beeinflussen, was also tun?
GK:
 Wir zahlen seit diesem Monat ein höheres Fixum – den KLIPP-Grundlohn. Dieser wird in der für uns relevanten Gruppe (6+) knapp 9% über dem Kollektiv liegen und damit 18,8% über 2022. Bei Lehrlingen sind es sogar durchschnittlich 20% über Kollektivlohn. Lehrlinge im dritten Lehrjahr erhöhen wir sogar um 43,1%. – das sind 20,4% über dem Kollektivlohn.

Das ist ein sehr mutiger Schritt, wird das schon die Lösung sein?
GK:
 Nein, das ist ein erster Schritt und diesen Weg müssen wir konsequent weiter gehen.

„Sich Wohnung, Essen und einen Urlaub leisten zu können,
ist ein Hygienefaktor“

Haben sie das bereits mit Innungen und anderen Filialisten darüber gesprochen?
GK
: Nein – nicht explizit. Wir haben zur Unterstützung unseres Entscheidungsprozesses die Studie durchgeführt und entschieden. Wir wollen, dass eine Frau (über 90 % unserer Mitarbeiterinnen sind Frauen), die bei uns arbeitet, ihr Leben bestreiten kann. Eine alleinstehende Frau soll sich eine Wohnung, Essen und einen Urlaub leisten können. Das sind für mich Hygienefaktoren, diese müssen stimmen. Denn der Teich, in denen alle nach Mitarbeitern fischen, wird nicht größer – nur sind wesentlich mehr Fischer aus anderen Branchen zugange, die uns hier das Leben schwer machen.

Klipp hat bereits im Januar die Preise um durchschnittlich 10 % angehoben, wird es weitere Preisanpassungen geben?
GK: 
Im Moment sind keine weiteren Preiserhöhungen geplant.

Wie finanzieren Sie diese Erhöhung?
GK:
 Einen Teil decken wir durch Preiserhöhung ab, der Rest geht auf unseren Ertrag.

Wie wurden denn die Preiserhöhungen von Kundinnen aufgenommen?
GK:
 Vereinzelt gab es in den ersten Wochen vor allem am Land ein paar Kommentare. Aber insgesamt war es kein wirkliches Thema.

Wie schult man Mitarbeiter in ihrer Betriebsgröße darauf, über Preiserhöhungen zu sprechen?
GK:
 Wir haben ein neues Format, Klipp live. In Live-Schaltungen zu allen Mitarbeiterinnen berichten und erklären wir, was wir machen. Auf die Ankündigung der Lohnerhöhung haben alle super reagiert und sich bedankt.
Wir erklären aber auch, dass das nur geht, wenn wir den Weg gemeinsam gehen, es ist ein Kreislauf: Wir erhöhen die Preise, damit wir Gehälter anheben können. Und das geht nur, wenn die Qualität unserer Dienstleistung passt! Das entscheidet letztendlich der Kunde.

Ein anderes Ergebnis in der Studie überrascht mich: ‚Man will nicht mit schwierigen Kunden zu tun haben‘ ist der zweithäufigste Grund, der gegen die Berufswahl Friseur spricht. Was kann man dagegen unternehmen?
GK:
 Ein großer Abgang kam bei uns nach Corona, als viele Friseure die Branche verließen. Wir führen mit vielen Mitarbeitern Exit-Gespräche. Das Hauptargument für das Weggehen war: ‚Ich mag nicht mehr mit Kunden arbeiten.‘ Das ist ein großes Thema, das wir alle miteinander nicht unterschätzen dürfen.

Wie bereiten Sie ihre Lehrlinge darauf vor?
GK: 
Wir haben ein eigenes Social Fitness Programm entwickelt. Im ersten Lehrjahr fokussieren wir im Coaching darauf, wie man im Team ankommt und mit Kollegen umgeht. Im zweiten Lehrjahr trainieren wir den Umgang mit Kunden, aber auch wie man sich selbst darauf einstellt. Im dritten Lehrjahr geht es dann um Resilienz und worauf man bei sich selbst achten muss, um nicht auszubrennen. Das begleiten wir über 3 Lehrjahre.

Sie haben hierfür externe Coaches?
GK:
 Ja, aber auch unsere Ausbildner bilden wir dahingehend aus.

Das ist sehr spannend, denn hier liegen auch viele aktuelle Problematiken verborgen, die den Umgang der Generationen betreffen.
GK:
  Tatsächlich beobachten auch wir das. Alte Prinzipien kann man der neuen Generation nicht einfach überstülpen. Hier müssen wir an eingefahrenen Mindsets, vor allem an unseren eigenen, arbeiten, darin sehen wir einen Schlüssel. Wir haben aber auch noch nicht die perfekte Lösung gefunden.

Stichwort 4-Tage-Woche, darüber wird viel geschrieben? Wie geht man damit um?
GK:
 Ja! Darüber wird zu viel berichtet! Vor allem ‚Samstag frei‘ zu haben ist ein großes Thema. Hier arbeiten wir an Dienstplan-Modellen, um dies verstärkt zu ermöglichen. Eine große Herausforderung ist die Lohn- und Abgabenentwicklung, der Finanzminister verdient an jeder Gehaltserhöhung maßgeblich mit. Und das finde ich bitter.

Wie sieht es aus mit Lobbyarbeit? Haben Sie Kontakte in die Politik?
GK:
 Ja, punktuell. Aber Lobbyarbeit funktioniert nur dann, wenn man sie dauerhaft mit Druck betreibt. Ich habe ein Unternehmen zu führen und nicht die Zeit, permanent dranzubleiben. Ich denke, man muss dringend überlegen, einen Teil der Kammerumlage in professionelle, fixe Lobbyressourcen zu investieren. Bei aller Wertschätzung für deren Einsatz – aber kein Innungsmeister dieser Welt hat die Zeit, das Netzwerk und auch nicht die Konstanz, das leisten zu können. Sie oder er ist ja primär Unternehmerin und hat ein Geschäft zu führen.

Gibt es hierzu Gespräche mit der Innung?
GK
: Die Innung ist Opfer ihrer eigenen Struktur, dafür können die Vorsitzenden nichts. Es gibt inklusive Bundesinnung 10 verschiedene Innungen für unser kleines Österreich! Da werden Kräfte von Anfang an geschwächt. Daher ist es so wie es ist und ich bin Österreicher genug zu wissen, dass sich hier auch in Zukunft nichts ändern wird. Viele Vertreter der Innung hauen sich ins Zeug – können aber bei wesentlichen Themen einfach nichts ausrichten! Ich finde es z.B. gut, dass gerade die Digitalisierung der Ausbildungsinhalte thematisiert wird, da unterstützt die Innung gut. Auch die aktuelle Werbekampagne finde ich ansprechend. Aber die Struktur verhindert Schlagkraft. Nicht umsonst gibt es einen Industriellenverein, einen Hoteliers- oder Handelsverband – dort wird außerhalb der Wirtschaftskammer konsequent und sehr erfolgreich Lobbyismus betrieben.

Weshalb gibt es keine Friseurvereinigung?
GK:
 Jeder ist aktuell – und das meine ich nicht sarkastisch – mit sich und den aktuellen Herausforderungen sehr beschäftigt. Wir gehen jetzt diesen Weg und den kommunizieren wir bewusst nach außen. Ich will das leidige Thema „Gehalt“ angehen und wir machen das jetzt.

Wie entwickelt sich aktuell das Salongeschäft?
GK:
 Das Geschäft läuft super.

Hat sich das Besuchsverhalten der Kunden verändert?
GK:
 Was wir bemerken ist, dass es die klassischen Schwankungen und Peaks wieder vermehrt  gibt, Ströme verteilen sich noch nicht so gleichmäßig, wie noch vor Corona. Leider schicken wir in bestimmten Regionen  Kunden weg, weil wir nicht genügend Mitarbeiterinnen haben.

Aber wo wird dann die Dienstleistung stattfinden? Alles Schwarzarbeit?
GK:
 Ich tue mir sehr schwer, diesen Bereich einzuschätzen. Ich kritisiere hier allerdings nicht einzelne Marktteilnehmer, wie die Barbershops, sondern die öffentliche Hand, die rein gar nichts dafür tut, zu schauen, wer ehrlich arbeitet und wer nicht. Es gibt so viel offensichtliche Stellen, wo weggeschaut wird. Das schadet nur den ehrlichen Unternehmen – egal ob groß oder klein! Das kritisiere ich!

Vielen Dank Herr Kraft für das offene Gespräch und eine interessante Studie.

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