Melina Petroglou ist seit Mai 2024 Mitglied der Kreishandwerkerschaft Essen | Credit: Adrian Bedoy

“Warum ist es Azubis vorgeschrieben, Dauerwelle am Frauenkopf zu wickeln?”

Wer frischen Wind will, bekommt frischen Wind, so mein Eindruck im Gespräch mit Melina Petroglou, die ihre Rolle in einem deutschen Innungsvorstand nutzt, um Notwendigkeiten aus Sicht einer Jungunternehmerin und Fachtrainerin zu platzieren.

Obwohl es Unterschiede in den Innungsstrukturen zwischen Deutschland und Österreich gibt, so sind die Themen in vielen Fällen die gleichen. Vor allem bei den Ausbildungsvorgaben sind die Kritikpunkte länderübergreifend ident. Deshalb möchten wir euch dieses spannende Gespräch nicht vorenthalten.

Unsere Redakteurin Birgit Senger, selbst Friseurin mit einem Salon in Berlin, trifft Salonunternehmerin und Jung-Innungsmitglied Melina Petroglou zum Talk über Female Empowerment im Innungsvorstand Essen und über Bahnen, die es aufzubrechen gilt – denn gerade zu Beginn der Friseurausbildung sollten die Anforderungen für die Prüfung Auszubildende begeistern und nicht verschrecken.

Frischer Wind und Female Empowerment im Innungsvorstand in Essen

Im Friseurhandwerk arbeiten deutlich mehr Frauen,wie empfindest du die Sichtbarkeit der Frauen im Handwerk?
MP: 
Ich beobachte in Fachzeitschriften und auf den Bühnen einen deutlichen Zuwachs an tollen Frauen, vor allem auch Unternehmerinnen. Zum Glück halten wir in der Branche nicht mehr so stark am alten Konkurrenzdenken fest, sondern vernetzen uns stärker und bieten uns gegenseitig eine Bühne.

Welche Entwicklung für Frauen nimmst du wahr?
MP: 
Ich beobachte deutlich mehr Unterstützung, gerade auch durch die Medien! Ich finde es toll, wenn, wie von euch, Themen wie Mutterschutz für Selbstständige aufgenommen werden. Auch das positive Feedback, als ich auf Social Media bekannt gegeben habe, dass ich in den Vorstand der Innung gewählt wurde, war groß.

Innungsmitgliedschaft: “Ich finde es sehr hilfreich, in jeder Situation einen Ansprechpartner zu haben.”

Weshalb sollten junge Unternehmerinnen und Unternehmer der Friseurinnung beizutreten?
MP: 
Ich finde es sehr hilfreich, in jeder Situation einen Ansprechpartner zu haben. Als ich vor vier Jahren gestartet bin, war ich ständig mit Neuerungen und einer super schwierigen Zeit konfrontiert. Ob bei Rechtsbeistand, Fragen zu Tarif- und Ausbildungsverträgen, Arbeitsschutz oder bei der Umsetzung aktueller Auflagen. Für all das hatte ich in der Innung immer eine Ansprechperson. Wir haben aktuell zwei Auszubildende im Salon, dementsprechend bin ich in Bezug auf die Überbetrieblichen Lehrgänge oder Lehrlingsverträge bestens informiert und kann meinen Azubis die vollumfängliche Ausbildung bieten.

Kannst du das ohne Innungsmitgliedschaft nicht auch? Ich dachte, man zahlt dann halt nur mehr für die Auszubildenden?
MP: 
Du zahlst mehr, hast aber nicht die Möglichkeit schnell mal was nachzufragen. Klarer Vorteil für alle Innungsmitglieder ist, dass du quasi per Knopfdruck Informationen erhältst.

Wie hast du es so schnell in den Vorstand der Innung geschafft?
MP: 
Ich habe mit meinem Vater viele Innungsversammlungen besucht. Irgendwann bekam ich einen Anruf „Wir brauchen junges Blut, würdest du dich für den Innungsvorstand aufstellen lassen?“ Ich habe die Chance ergriffen und freue mich sehr, dass ich gewählt wurde. Teil des Innungsvorstandes zu sein, gibt mir die perfekte Plattform, um meine Interessen und meine Motivation an viel Kolleginnen und Kollegen weiterzugeben.

Was steht auf deiner Agenda, was möchtest du in der Innung erreichen?
MP:
 Stärker an den Trends zu arbeiten und Social Media stehen auf meiner Liste ganz oben. Ich würde gerne eine Verbindung schaffen zwischen dem, was die Firmen an Trends zeigen und dem, was die Innung vorgibt. Ich halte es für super wichtig, auch als Innung junge Talente stärker anzusprechen. Wir sollten darauf fokussieren, was junge Leute und junge Betriebe benötigen und welche Unterstützung wir als Innung zusätzlich zu den ‚Klassikern‘, anbieten können.

“… die Angst vor Konflikten und Herausforderungen in der Ausbildung nehmen!” 

An welche Maßnahmen denkst du da?
MP: 
An Weiterbildungsangebote, um die Sichtbarkeit im Social Media Bereich zu pushen. Oder daran, die Angst vor Konflikten und Herausforderungen in der Ausbildung zu nehmen und z.B. mit der Kompetenz des Lehrlingswarts herauszufinden, woran es liegt, wenn es im Salon zu Unstimmigkeiten zwischen Ausbildungsbetrieb und Auszubildenden kommt.

“Ich freue mich über die Möglichkeit, mitgestalten zu können, um junge Leute anzusprechen.”

Ich verstehe vollkommen, was du sagst, leider höre ich oft, dass man mit dem aktuellen Ausbildungsplan oder der Mode des Zentralverbands die jungen Menschen wenig begeistern kann, sondern oft sogar verschreckt. Wie siehst du das?
MP: 
Genau aus diesem Grund wäre es cool, stärker an den Trends zu arbeiten! Als Fachtrainerin kenne ich auch die Firmenseite. Ich sehe es als meine Aufgabe, meine Erfahrungen im Innungsvorstand einzubringen und der Innung Essen neuen Input zu geben. Ich freue mich über die Möglichkeit, mitgestalten zu können, um gerade die jungen Leute anzusprechen.

Sollte sich eine Innung nicht mehr um politische und rechtliche Belange kümmern und Mode anderen überlassen? Könnte man die Zeit und das Geld nicht lieber in andere Maßnahmen stecken und die Mode komplett der Industrie überlassen?
MP: 
Ich finde, wir haben ein super ganzheitliches Handwerk, weil es nun mal auf Trends, Techniken und Mode basiert. Aus diesem Grund finde ich es nicht gut, wenn eine Innung, die unter der Handwerkskammer die Branche vertritt, da außen vor bliebe.
Bei uns im Salon ist es so, dass vor allem die jungen Mitarbeitenden gerne die Zeitschriften anschauen, sich über Trends informieren und froh sind, dass diese bei der Modelinie des Zentralverbands, die passenden Farbtechniken fachlich aufbereitet und erklärt werden. Auch zur Vorbereitung auf anstehende Prüfungen orientieren sie sich gerne an den Trends.

“In der ersten Hälfte der Ausbildung, in der klassischen Dauerwelle und Façon thematisiert werden, sollten modernere Techniken platziert werden.”

Ok, da ist was dran. Auch wenn es bei mir lange her ist, habe ich mich in den ersten Jahren im Friseurbusiness genau an diesem Material bedient und gelernt, anhand einer Fotografie die angewandte Farbtechnik zu erkennen.
Wie attraktiv ist der aktuelle Ausbildungslehrplan, sollte aus deiner Sicht etwas ergänzt werden?
MP: 
Ich liebe natürlich Farbe und weiß als Farb- und Techniktrainerin, wie viel man da noch machen kann. Aktuell sind es Module, die man dazu buchen kann. Ich fände es toll, wenn beispielsweise Farbkorrektur mit integriert werden könnte. Vor allem in der ersten Hälfte der Ausbildung sollten modernere Techniken platziert werden, anstatt klassisch Dauerwelle und Façon anzubieten.  Es wäre super, wenn Azubis während der ersten Prüfung schon richtig Spaß am Beruf haben könnten.

Lobenswert ist, dass bei uns Augenbrauenfärben in die Prüfung integriert wurde. Wimpern färben, Augenbrauenfärben und mittlerweile Augenbrauenlifting gehören für uns zum Salonalltag und hier finde ich es wichtig, im Friseurhandwerk up to date zu sein.

“Wir brauchen Techniken, die uns helfen, die Auszubildenden für den Beruf motivieren zu können.”

Ist Augenbrauenlifting schon Teil des Lehrplans?
MP: 
Noch nicht, aber bei uns im Salon haben wir eine Auszubildende im ersten Lehrjahr, die das herausragend gut macht und wahnsinnig motiviert bei der Sache ist. Und genau das meine ich: Wir brauchen Techniken, die uns helfen, die Auszubildenden für den Beruf motivieren zu können …

Dauerwelle wickeln ist vorgeschrieben auf einem Frauenkopf: “Warum können wir das nicht deutlich diverser machen?”

… was der Dauerwelle, als alter Klassiker im Lehrplan, nicht so gut gelingt, oder?
MP: 
Ich kann das nachvollziehen, da die Dauerwelle sicherlich zu den eher schwierigeren und nicht so modernen Arbeiten unseres Handwerks zählt. Obwohl mittlerweile Papilloten-Wickler verwendet werden können, sehe ich die Herausforderung ein Modell zu finden, als eher schwierig. Vor allem, da es im Moment auch noch vorgeschrieben ist, dass auf einem Frauenkopf gewickelt wird. Warum können wir das nicht deutlich diverser machen? Wie wär’s mit: „Hey, dass ihr eine Dauerwelle wickelt, ist für eure Fingerfertigkeit ein tolles Training und wichtig, um den chemischen Prozess einer Dauerwellbehandlung zu beherrschen und verstehen zu können. Wenn also jetzt gerade bei Herren die Dauerwelle angesagter ist, dann zeigt die Technik am Herrenmodel.“

Und macht es einen Unterschied, ob 2/3 des Kopfes oder ein geringerer Teil gewickelt werden, um zu zeigen, dass die Technik grundsätzlich beherrscht wird? Mit etwas mehr Offenheit kann man die Dauerwelle im Ausbildungslehrgang lockerer gestalten und für Azubis attraktiver machen.

Was sollte sich die Branche immer vor Augen halten?
MP: 
Wir bewegen Menschen in kürzester Zeit nicht nur zu einem tollen Aussehen, sondern auch zu einem neuen Lebensgefühl. Welche Branche kann das schon von sich behaupten?

Vielen Dank, Melina, und viel Erfolg!

Über Melina Petroglou

  • Salon Inhaberin | Friseur Georg P, Essen | 6 Mitarbeitende, 2 Auszubildende
  • Fachtrainerin & Stage Artist
  • Prüferin HWK, seit 2024 Mitglied des Innungsvorstandes (Kreishandwerkschaft Essen/Deutschland)

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